Sprachnachweis-Ausnahmen

Ausnahmen vom Sprachnachweis – Keine Deutschkenntnisse nötig

Gesetzliche Ausnahmen vom Erfordernis des Sprachnachweises regelt § 30 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG.

Ausnahmen gelten beim Ehegattennachzug

  • zu hochqualifizierten Erwerbstätigen und Selbständigen
  • zu Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten
  • zu Daueraufenthaltsberechtigten

Kein Sprachnachweis nötig,

  • wenn Ehegatte die Staatsangehörigkeit eines der in § 41 Aufenthaltsverordnung genannten Staaten besitzt,
  • bei erkennbar geringem Integrationsbedarf
  • Spracherwerb unmöglich wegen geistiger oder körperliche Behinderung.

    Keinen Sprachnachweis vor Einreise
    , wenn
  • der Ehegatte Deutscher ist und er zuvor durch einen längeren Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat von seinem europäischen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat,
  • der Ehegatte Deutscher ist und für Sie der Spracherwerb im Ausland nicht möglich oder nicht zumutbar ist oder trotz Ihres Bemühens innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich war; das Gleiche gilt, wenn Ihr Ehegatte die türkische Staatsangehörigkeit besitzt und sein Aufenthaltsrecht sich nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei bestimmt oder
  • der nachziehende Ehegatte selbst oder Ehegatte in Deutschland Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EU (außer Deutschland) oder der EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein oder der Schweiz sind.
  • Härtefallregelung wurde mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 in § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG eingeführt. Danach ist das Spracherfordernis unbeachtlich, wenn es den Ehegatten aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen.
Ehegatte Deutscher – und Unzumutbarkeit

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 10 C 12.12) hat am 4. Sept. 2012 entschieden:

Die in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG getroffene Regelung zum Spracherfordernis ist auf den Ehegattennachzug zu Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG nur entsprechend anzuwenden. Die verfassungskonforme Auslegung des § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG gebietet es, von diesem Erfordernis vor der Einreise abzusehen, wenn Bemühungen um den Spracherwerb im Einzelfall nicht möglich, nicht zumutbar oder innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich sind. Dies enthebt nicht von Bemühungen zum Spracherwerb nach der Einreise.

2. Ein deutscher Staatsangehöriger darf grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden, seine Ehe im Ausland zu führen. Das Grundrecht des Art. 11 GG gewährt ihm – anders als einem Ausländer – das Recht zum Aufenthalt in Deutschland.

3. Dies gilt gleichermaßen für den Ehegattennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen, der eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt.

Die mit einer Erstalphabetisierung im Erwachsenenalter allgemein verbundenen Schwierigkeiten reiche für eine Ausnahme vom Spracherfordernis nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG 2004 (fehlende Sprachkenntnisse wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Krankheit oder Behinderung) nicht aus.

Unzumutbare Beeinträchtigung

Überschreite jedoch das Spracherfordernis als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren im Einzelfall das zumutbare Ausmaß der Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG qualifiziert geschützten Belange des ausländischen und deutschen Ehegatten, ist es geboten, gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vor der Einreise des ausländischen Ehegatten abzusehen.
Die Unzumutbarkeit kann sich u.a. daraus ergeben, dass es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oder wegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die deutsche Sprache innerhalb angemessener Zeit zu erlernen. In einem solchen Fall schlägt die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um.

Unzumutbar: Nachzugsverzögerung um 1 Jahr – bei Deutschen

Die Grenze zwischen Regel- und Ausnahmefall ist nach der Überzeugung des Senats bei einer Nachzugsverzögerung von einem Jahr zu ziehen. Sind zumutbare Bemühungen zum Erwerb der Sprachkenntnisse ein Jahr lang erfolglos geblieben, darf dem Visumsbegehren des Ehegatten eines Deutschen das Spracherfordernis nicht mehr entgegen gehalten werden.

Jahresfrist muss nicht abgewartet werden

Entsprechendes gilt, wenn dem ausländischen Ehepartner Bemühungen zum Spracherwerb von vornherein nicht zumutbar sind, etwa weil Sprachkurse in dem betreffenden Land nicht angeboten werden oder deren Besuch mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist und auch sonstige erfolgversprechende Alternativen zum Spracherwerb nicht bestehen; in diesem Fall braucht die Jahresfrist nicht abgewartet zu werden. Bei der Zumutbarkeitsprüfung sind insbesondere die Verfügbarkeit von Lernangeboten, deren Kosten, ihre Erreichbarkeit sowie persönliche Umstände zu berücksichtigen, die der Wahrnehmung von Lernangeboten entgegenstehen können, etwa Krankheit oder Unabkömmlichkeit. Das erforderliche Bemühen zum Spracherwerb kann auch darin zum Ausdruck kommen, dass der Ausländer zwar die schriftlichen Anforderungen nicht erfüllt, wohl aber die mündlichen.

Umfassende Zumutbarkeitsprüfung

Das Verwaltungsgericht ist bei der Zumutbarkeitsprüfung rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für den Ehegattennachzug zu Deutschen „identisch“ seien mit denen zu einem ausländischen Staatsangehörigen  und ein Zeitraum von zwei bis drei Jahren für den Spracherwerb in aller Regel zumutbar sei.
Das Verwaltungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Klägerin der Besuch eines Sprachkurses in Kabul in der Zeit seit Stellung des Visumsantrags im Mai 2008 zumutbar gewesen ist. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass es einer afghanischen Frau, die bisher bei ihren Schwiegereltern in einem dörflichen Umfeld gelebt hat, eher nicht zumutbar sein dürfte, allein in die viele Autostunden entfernte Hauptstadt Kabul zu ziehen, um dort über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder Monaten die deutsche Sprache zu erlernen. Anderes mag gelten, wenn Verwandte oder Freunde in Kabul leben, die die Klägerin während der Dauer des Spracherwerbs bei sich aufnehmen können. Hierzu fehlen Feststellungen des Verwaltungsgerichts.

Jahresfrist bei Analphabeten und

Sollte die Klägerin tatsächlich – wie sie vorträgt – Analphabetin sein, wäre vom Verwaltungsgericht weiter zu ermitteln, ob sie unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles innerhalb eines Jahres eine Alphabetisierung und den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse hätte erreichen können. Sollte das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Klägerin der Erwerb der gesetzlich geforderten Sprachkenntnisse nicht zumutbar war, hat es die Beklagte zur Erteilung des begehrten Visums zu verpflichten, wenn auch die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für den Ehegattennachzug vorliegen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die doppelte Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes – wie bereits ausgeführt – keine besonderen Umstände begründet, um entgegen der gesetzlichen Regel in § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG den Nachzug von einer Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen.

Nachzug zum ausländischen Ehegatten bei deutschen Stiefkindern

Gilt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.09.2012 entsprechend, wenn der ausländischen Ehegatten in Deutschland (Stammberechtigter), deutsche Kinder hat? Schließlich dürfte dem ausländischen Ehegatten dann nicht zumutbar sein, die Ehe im Ausland zu führen.

Besteht bereits eine Beziehung zu den Stiefkindern, so kann auch bereits Art. 8 EMRK greifen – auch wenn noch keine leibliches Verwandschaft oder Adoption besteht. Nach Art. 8 EMRK ist bereits das faktisches Verhältnis geschützt, vgl. OVG Bremen v. 20.09.2013 Aze 1 B 143/13 mit Verweis auf die Rechtsprechung EGMR, Urteil vom 12. Juli 2001 – 25702/94.
Vor dem Nachzug dürfte eine schützenswerte Beziehung nach Art. 8 EMRK noch nicht bestehen bzw. schwierig nachzuweisen sein.

Visa zum Spracherwerb bei Härtefall?

Das Bundesverwaltungsgericht (Az. BVerwG 1 C 8.09) hatte in einem Fall beim Nachzug eines türkischen Ehefrau zu ihrem türkischen Ehemann nun Deutschland am 30. März 2010 entschieden:

„Das Fehlen einer allgemeinen Ausnahmeregelung für Härtefälle steht der Verfassungsmäßigkeit der Regelung nicht entgegen, da zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Trennung der Eheleute im Einzelfall auf anderem Weg, etwa durch Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Spracherwerb nach § 16 Abs. 5 AufenthG, Abhilfe geschaffen werden kann.“

Die Entscheidung des Gerichts ist außerordentlich problematisch, weil der Aufenthaltstitel zum Spracherwerb eben etwas ganz anderes ist, also zum Ehegattennachzug. Vor allem steht der Aufenthaltstitel im Ermessen der Behörden und wird entsprechend restriktiv gehandhabt.

Zum Glück hat der Gesetzgeber reagiert und die Härtefallklausel aufgenommen,      § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG. Erwägenswert bleibt es jedenfalls dennoch, einen entsprechende Antrag auf Spracherwerb (hilfsweise) zu versuchen.