Familinachzug bei Kindern auch nach Eintritt der Volljährigkeit von 18 Jahren

Minderjährige können leicht zur Familie nachziehen. Was passiert, wenn das Kind während des Verfahrens volljährig wird?

Der Europäische Gerichthshof nun festgestellt: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung der Minderjährigkeit bei der Familienzusammenführung ist der Zeitpunkt der Antragstellung.
( Urteile: C-279/20, C-273/20 u. C-355/20 vom 01.08.2022)

Zum einen ging es um den Nachzugs der Eltern zu einem
in Deutschland als Flüchtling anerkannten Kind (C273/20, C-355/20) und zum anderen um den Nachzug eines Kindes mit seinem in Deutschland mit einer Flüchtlingsanerkennung lebenden Elternteil (C279/20).

Für den Nachzug von Eltern zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling der kommt es nach dem Gerichtshof auf den Zeitpunkt der Asylantragsstellung an. Nicht relvant ist daher, wann über den Antrag entschieden wurde. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Entscheidung sei weder konform mit dem Ziel der Richtlinie zur Familienzusammenführung – dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Verbindung mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls – noch steht dieses Vorgehen im Einklang mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit der Antragstellender, da eine erfolgreiche Zusammenführung in diesem Fall hauptsächlich von der Bearbeitungszeit des Antrags abhängt.

Auch beim Nachzug eines Kindes zu einer in Deutschland als Flüchtling anerkannten Person ist der Zeitpunkt des Asylantrags des zusammenführenden Elternteils maßgeblich und nicht der Zeitpunkt der Antragstellung auf Familienzusammenführung. Letzterer muss jedoch innerhalb der Frist von drei
Monaten nach Anerkennung des zusammenführenden Elternteils als Flüchtling
gestellt werden.

Weiter stellte der Gerichtshof klar, dass für die Annahme tatsächlicher familiärer Bindungen zwischen Eltern und Kind gelegentliche Besuche und regelmäßige Kontakte ausreichen können, um anzunehmen, dass persönliche und emotionale Beziehungen wieder aufgebaut werden und tatsächliche familiäre Bindungen belegen.

Visa-Info des Auswärtigen Amtes (Visumhandbuch)

Aktuelles Visumhandbuch (Stand: März 2022).

Darin finden sich Informationen zu

  • Abstammungsgutachten,
  • Adoleszenzgutachten/Altersgutachten
  • zur Akteneinsicht und Auskünften im Visumverfahren.

Recht auf Geburtsurkunde

Auf der Website recht-auf-geburtsurkunde.de, wird über die Vorgaben zur Registrierung und Ausstellung einer Geburtsurkunde informiert.

Zudem werden Fragen rund um die Geburtenregistrierung von Kindern, deren Eltern ihre Identität nicht nachweisen können, beantwortet.

Sowohl die Geburtsurkunde als auch der Registerausdruck gelten als Personenstandsurkunden nach dem Personenstandsgesetz (§ 55 Absatz 1 Nr. 1 PStG). Sie sind rechtlich gleichwertige Dokumente (54 Absatz 1 Satz 1 und 2 PStG).
Wurde im Geburtenregister der Zusatz vermerkt, dass der Identitätsnachweis der Eltern nicht erbracht wurde, erstreckt sich die Beweiskraft nicht auf die Identität der Eltern und folglich auch nicht auf die Namensführung des Kindes. Dennoch beweist der Registerausdruck, dass ein Kind mit einem bestimmten Vornamen zu einem bestimmten Zeitpunkt und Ort geboren wurde und von den beurkundeten Eltern abstammt. Die Geburtsurkunde hingegen liefert den vollen Beweis über die Abstammung eines Kindes.

Wenn die für eine Geburtsurkunde erforderlichen Urkunden fehlen, hat dennoch eine Geburtenregistrierung zu erfolgen und das Kind kann einen Ausdruck aus dem Geburtenregister bekommen, der ebenfalls ein offizielles Dokument ist (vergleiche § 55 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 4 PStG, § 54 Absatz 1 und 2 PStG und § 35 Absatz 1 PStV).

Die Geburtsurkunde liefert den vollen Beweis über die Abstammung eines Kindes. Alle beurkundeten Tatsachen müssen daher wahr sein. Dies zu ermitteln und die Echtheit von Dokumenten zu prüfen, ist die Pflicht des Standesamtes. Inländische öffentliche Urkunden gelten als echt. Ausländische öffentliche Urkunden, welche mit Legislation oder Apostille versehen sind, werden in der Regel nach umfassender Prüfung ebenfalls als echt eingestuft. Andere ausländische Urkunden beziehungsweise Privaturkunden (also nicht öffentliche Urkunden) müssen im Wege des Freibeweisverfahrens geprüft werden.
Eine weitere Vorgabe besagt, dass alle Urkunden grundsätzlich im Original vorgelegt werden müssen.
Ist dies nicht möglich und sind auch keine Privaturkunden vorhanden, so kann nach der gesetzlichen Regelung des § 9 Absatz 2 PStG auch eine Versicherung an Eides Statt erfolgen.
Die Rechtsprechung akzeptiert diese aber nur zusammen mit weiteren Dokumenten. In der Praxis der Standesämter findet dies – aufgrund des hohen Beweiswertes des Geburtenregisters – jedoch nur äußerst selten Anwendung.

Die Beschaffung der Urkunden muss zunächst unmöglich, unzumutbar oder unverhältnismäßig sein (§ 9 Absatz 2 PStG).
Als unzumutbar wurde beispielsweise die Beantragung eines Passes für einen anerkannten Flüchtling gesehen.
Unmöglichkeit kann Vorliegen, wenn die Botschaft des Herkunftslandes in Deutschland nicht arbeitet und Reisen für den Betroffenen mangels Pass nicht möglich sind.
Unverhältnismäßig kann die Beschaffung sein, wenn sehr hohe Kosten (über 1 000 €) auf die Betroffenen zukommen.
In diesen Fällen können auch private Urkunden (religiöse Heiratsurkunden, Wehrdienstbücher, Schulzeugnisse) und Versicherungen an Eides Statt von den Eltern oder von Verwandten die öffentlichen Urkunden ersetzen (§ 9 Absatz 2 PStG).

Alter von minderjährigen Flüchtlingen bei Antragstellung auf Familienzusammenführung entscheidend

Der Europäsiche Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil v. 16. Juli 2020 entschieden: Das Alter von minderjährigen Flüchtlingen bei Antragstellung auf Familienzusammenführung entscheidend.

Im Fall ging es um die Familienzusammenführung eines in Belgien anerkannten Flüchtlings mit seinen drei Kindern aus Guinea; die Zusammenführung war zuvor von den zuständigen belgischen Instanzen mit dem Argument, dass die Kinder inzwischen volljährig geworden seien, abgelehnt worden.

Der EuGH stellte nun fest, dass dies nicht rechtens ist. Ziel der einschlägigen Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) sei, die Zu-sammenführung von Familien zu begünstigen und insbesondere Fälle von Minderjährigen mit einer „erforderlichen Dringlichkeit“ zu bearbeiten.

Der EuGH folgte in seiner Rechtsprechung den Schlussanträgen von Generalanwalt Gerard Hogan, der bereits am 17.03.2020 feststellte, dass Artikel 4 und 18 der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) im Kontext von Artikel 47 der EU-Grundrechte-Charta (Recht auf einen wirksa-men Rechtsbehelf) dahin auszulegen ist, „dass Drittstaatangehörige, die zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Familienzusammenführung unter 18 Jahre alt sind, aber während des Verwaltungsverfahrens zur Prüfung ihres Antrags oder des Gerichtsverfahrens, mit dem sie gegen die Verweigerung der Familienzusammenführung vorgehen, volljährig werden, gleichwohl als „Minderjährige“ im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2003/86 anzusehen sind.“ EuGH –Az.: C-133/19, C-136/19 & C-137/19 (16.07.2020)

Entscheidung des EuGH:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=228674&pageIndex=0&doclang=EN&mode=req&dir=&occ=first&part=1

Schlussanträge des Generalanwalts:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=224593&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

Allgemeine Hinweise zum Kindesnachzug

Merkblatt: Neugeborene Kinder syrischer Staatsangehörigkeitin der Türkei –Einbindung in das Verfahren zur Familienzusammenführung

Häufig dauern die Verfahren der Familienzusammenführung lange.

Während dieser Zeit werden auch Kinder geboren. Diese sollten dann in das laufende Verfahren der Familienzusammenführung der Mutter einbezogen werden.

Geflüchtete aus Ländern eines bewaffneten Konflikts, die das Verfahren auf Familienzusammenführung zu einem Angehörigen in Deutschland nicht in ihrem Herkunftsland betreiben können, benötigen in dieser Situation auch für das Neugeborene Dokumente, damit das Kind ebenfalls ein Visum erhalten kann.

Das Merkblatt des Deutschen Roten Kreuzes gibt hierzu Hinweise.

Familienasyl : Nachzug zum -nunmehr – vollährigen Kind

Mit Urteil vom 13.03.20 (14 A 2778/17.A) hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entschieden: Ein Anspruch auf Familienasyl besteht nicht, wenn ein als Flüchtling anerkanntes Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr minderjährig ist.

Es ging um die Eltern und die Schwester eines als Flüchtlings anerkannten Syrers, denen zwar subsidiärer Schutz zugesprochen, aber deren Klage auf Flüchtlingsanerkennung unter dem Gesichtspunkt des internationalen Schutzes für Familienangehörige abgelehnt wurde.

Die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei nicht gegeben , da der Sohn beziehungsweise Bruder zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung bereits volljährig war. Das Gesetz sehe zwei Ausnah-meregelungen vor, in denen bei der Frage der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen sei. Im vorliegenden Fall handele es sich jedoch nicht um einen solchen Ausnahmefall, sondern um ein „beredtes Schweigen“ der Gesetzgeberin, das eine Ausdehnung der Schutzvorschriften auf die Konstellation des Familienasyls nicht zulasse.

In seiner Entscheidung verneinte das Gericht zudem erneut die hinreichende Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung bei Syrerinnen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben; es gäbe keine tatsächlichen Indizien dafür, dass syrischen Wehrdienstentzieherinnen eine regimekritische Haltung unterstellt werde.

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2020/14_A_2778_17_A_Urteil_20200313.html