Ehegattennachzug: Wohnung und Arbeit verkürzen Trennungszeit bei subsidär Schutzberechtigten nicht

Bevor der Gatte eines sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten ein­rei­sen darf, müs­sen die Ehe­leu­te, wenn sie nicht be­reits vor der Flucht ge­hei­ra­tet hat­ten, eine Tren­nungs­zeit hin­neh­men. Diese ver­kürzt sich laut BVer­wG nicht da­durch, dass der Schutz­be­rech­tig­te in Deutsch­land eine Woh­nung hat und den Le­bens­un­ter­halt si­chern kann.

Zwei syrische Staatsangehörige reisten eigenen Angaben zufolge 2014 bzw. 2013 aus Syrien in den Libanon ein. Im August 2019 heirateten sie während eines Kurzaufenthalts in Syrien. Der Ehemann suchte im Dezember 2020 im Bundesgebiet um Asyl nach und bekam im Februar 2021 den subsidiären Schutzstatus zuerkannt. Seit Februar 2023 arbeitet er in Vollzeit, seit Juli 2023 zusätzlich als geringfügig Beschäftigter. Er besitzt eine gültige Aufenthaltserlaubnis und wohnt in einer etwa 50 Quadratmeter großen Wohnung.

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Beirut lehnte die Erteilung des von der Ehegattin beantragten Visums auf der Grundlage von § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ab. Hiergegen klagte die Frau. Das Verwaltungsgericht Berlin gab der Klage statt: Es bejahte eine Ausnahme von dem für den Fall einer nicht bereits vor der Flucht erfolgten Eheschließung vorgesehenen Regelausschlussgrund. Voraussetzung sei, dass die Ehegatten seit mehr als drei Jahren räumlich voneinander getrennt lebten, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht in einem Drittstaat wiederhergestellt werden könne, der im Bundesgebiet lebende subsidiär Schutzberechtigte den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen vermöge und ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehe. All das sei hier gegeben.


Anders das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und sah keinen atypischen Fall

Das BVerwG, zu dem Sprungrevision eingelegt wurde, sieht die Sache anders. Die Erteilung eines Visums zum Zweck des Ehegattennachzuges zum subsidiär Schutzberechtigten scheide gemäß § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG in der Regel aus, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde. Das VG habe das Vorliegen einer Ausnahme von diesem Regelausschlussgrund mit einer Begründung bejaht, die Bundesrecht verletzt (Urteil vom 24.10.2024 – 1 C 17.23).

Nach der Rechtsprechung des Senats sei eine Ausnahme von dem Regelausschlussgrund für den Fall, dass die (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des nachzugswilligen Ehegatten – wie hier – auf unabsehbare Zeit ausscheidet, regelmäßig bei einer mehr als vier Jahre andauernden Trennung der Ehegatten anzunehmen. Dieser Ausgleich der Interessen sei unter den Vorbehalt besonderer Umstände des Einzelfalles gestellt. Wegen der Bedeutung der einem Familiennachzug widerstreitenden Interessen der Bundesrepublik müssten solche atypischen Umstände des Einzelfalles geeignet sein, dem Regelausschlussgrund einer nach der Flucht geschlossenen Ehe schon vor dem Ablauf der genannten Fristen ausnahmsweise kein ausschlaggebendes Gewicht beizumessen.

Von einer derartigen Atypik kann laut BVerwG indes weder im Fall der Sicherstellung des Lebensunterhalts der Bedarfsgemeinschaft noch im Fall des Vorhaltens ausreichenden Wohnraums ausgegangen werden. Allein derartige migrationstypische Sachverhalte vermögen keine besondere Umstände zu begründen. Das gelte umso mehr, als der Gesetzgeber ihre Berücksichtigung allein im Rahmen von § 36a Abs. 2 Satz 4 AufenthG vorgesehen habe.

Kein Aufenthaltsrecht für Zweitfrau und Kinder eines subsidiär Schutzberechtigten

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts regelt § 36a AufenthG den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich abschließend und sperre einen Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG, wenn sich die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise allein auf bereits vor der Einreise bestehende familiäre Bindungen zu dem subsidiär Schutzberechtigten stütze, Urteil vom 26.09.2024 – 1 C 11.23.


Zum Fall:
Eine Mutter und ihre drei Kinder beantragten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Sie verwiesen darauf, dass die Mutter die Zweitfrau und die Kinder Abkömmlinge eines in Deutschland als subsidiär schutzberechtigt anerkannten syrischen Staatsangehörigen seien, der im Bundesgebiet mit seiner ersten Ehefrau und weiteren sechs Kindern zusammenlebe.

Nach Auffassung des BVerwG stehe § 36a AufenthG der Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG, nach dem eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen wegen unverschuldeter rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise erteilt werden kann, grundsätzlich entgegen.
So setze § 36a AufenthG das Vorliegen humanitärer Gründe, die u.a. in dem Schutz von Ehe und Familie wurzeln, tatbestandlich voraus. Unberührt bleibe daneben nach § 36 Abs. 1 S. 4 AufenthG lediglich die Erteilung von humanitären Aufenthaltstiteln nach den §§ 22, 23 AufenthG.


Die Sperrwirkung des § 36a AufenthG eröffne daher Raum für die Anwendung von § 25 Abs. 5 AufenthG nur im Fall nachträglich im Bundesgebiet eintretender Ereignisse.

Minderjährige Bruder – Unterhaltssichung- Nachzug

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss (Az.: OVG 3 S 32/24) vom 10.06.2024 entschieden, dass dem Bruder eines minderjährigen Schutzberechtigten die fehlende Lebensunterhaltssicherung
nicht entgegengehalten werden kann.

Das Auswärtige Amt (AA) hatte Beschwerde gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin eingelegt, mit der es verpflichtet wurde, einem 13-jährigen syrischen Jungen, der im Irak lebt, ein Visum zu erteilen, damit
er gemeinsam mit seinen Eltern zu seinem subsidiär schutzberechtigten Bruder nach Deutschland einreisen kann. Das Amt meinte, die Sicherung des Lebensunterhalts sei nötig. Zudem könne der Junge zunächst mit einem Elternteil im Irak bleiben, während der andere Elternteil nach Deutschland reisen könne.
Das OVG wies die Beschwerde ab und bestätigte die Entscheidung des
VG, da in diesem speziellen Fall aufgrund des besonderen Schutzes der Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK von der Regelvoraussetzung abgesehen werden muss. Das OVG betonte, dass es im besten Interesse des Kindes sei, bei seinen Eltern zu bleiben und eine Trennung unzumutbar ist, insbesondere weil der Bruder noch sehr jung sei und sich außerhalb seines Herkunftslandes befinde. Dies gelte umso mehr, als sich die Dauer einer Trennung des Antragstellers von seinen Eltern nicht sicher prognostizieren lässt.

Mehrere Aufenthaltstitel gleichzeitig

Ein tür­ki­scher Vater be­hält sein ab­ge­lei­te­tes Recht auf Frei­zü­gig­keit, auch wenn er einen zwei­ten Auf­ent­halts­ti­tel für die EU er­langt.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass beide Titel ne­ben­ein­an­der be­stehen kön­nen.

Der türkische Vater sollte den Titel (Recht auf Freizügigkeit in der EU) genommmen werden. Dieses Recht hatte er inne, weil er die Sorge für seinen minderjährigen Sohn wahrnimmt, der in der EU ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hat. Unter solchen Umständen kann für den Vater aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ein Recht auf Freizügigkeit abgeleitet werden.

Der türkische Staatsangehörige verfügte hier noch über ein assoziiertes Aufenthaltsrecht. Dieses wird türkischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gemäß Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses EWG-Türkei Nr. 1/80 (ARB 1/80) zuerkannt, wenn sie eine Arbeit in der Europäischen Union aufnehmen.

Bereits nach nationale Recht ist anerkannt, dass mehrere Aufenthaltstitel nebeinander bestehen können. Die Ausländerbehörden stellen offenbar nur ungern mehre Titel aus. Auf die Aufenthaltskarte könnte aber ohne weiteres, auf meherer §§ verwiesen werden.

Botschaft -ohne Remonstraionsverfahren

„Um zusätzliche Kapazitäten für die Visabearbeitung zu gewinnen, mit denen wir die Wartzeiten, die aktuell an manchen Visastellen bestehen, abbauen können, setzen wir in einem Pilotprojekt an einigen Visastellen die Remonstrationen aus – so wird die Beschwerde gegen die Ablehnung eines Visumantrags bezeichnet.
In einer ersten Phase wurde dies an den Visastellen in China, Marokko und der Türkei vom 07. Juni 2023 an getestet.

Pressemitteilung zum Pilotverfahren Aussetzung der Remonstrationen.

https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/visa-und-aufenthalt/-/2230536

Bis zur endgültigen Evaluierung dieser Maßnahme wird der Pilotzeitraum für diese Visastellen vorerst bis zum 30. Juni 2024 verlängert. Zudem wird das Pilotprojekt für den Zeitraum vom 01. Januar bis 30. Juni 2024 auf alle Visastellen in Ghana, Indien, Indonesien, Nigeria, Thailand, Tunesien und Vietnam ausgeweitet.“

Die Visastellen, die am Pilotprojekt teilnehmen, stellen ab sofort bei Ablehnung eines Visumantrags geänderte Ablehnungsbescheide aus.

Achtung – nun muss man gegen den Ablehnungsbescheid direkt Klage einreichen!

Antragsstellerinnen und Antragssteller haben die Möglichkeit, innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist die Ablehnung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen.