Alter von minderjährigen Flüchtlingen bei Antragstellung auf Familienzusammenführung entscheidend

Der Europäsiche Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil v. 16. Juli 2020 entschieden: Das Alter von minderjährigen Flüchtlingen bei Antragstellung auf Familienzusammenführung entscheidend.

Im Fall ging es um die Familienzusammenführung eines in Belgien anerkannten Flüchtlings mit seinen drei Kindern aus Guinea; die Zusammenführung war zuvor von den zuständigen belgischen Instanzen mit dem Argument, dass die Kinder inzwischen volljährig geworden seien, abgelehnt worden.

Der EuGH stellte nun fest, dass dies nicht rechtens ist. Ziel der einschlägigen Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) sei, die Zu-sammenführung von Familien zu begünstigen und insbesondere Fälle von Minderjährigen mit einer „erforderlichen Dringlichkeit“ zu bearbeiten.

Der EuGH folgte in seiner Rechtsprechung den Schlussanträgen von Generalanwalt Gerard Hogan, der bereits am 17.03.2020 feststellte, dass Artikel 4 und 18 der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) im Kontext von Artikel 47 der EU-Grundrechte-Charta (Recht auf einen wirksa-men Rechtsbehelf) dahin auszulegen ist, „dass Drittstaatangehörige, die zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Familienzusammenführung unter 18 Jahre alt sind, aber während des Verwaltungsverfahrens zur Prüfung ihres Antrags oder des Gerichtsverfahrens, mit dem sie gegen die Verweigerung der Familienzusammenführung vorgehen, volljährig werden, gleichwohl als „Minderjährige“ im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2003/86 anzusehen sind.“ EuGH –Az.: C-133/19, C-136/19 & C-137/19 (16.07.2020)

Entscheidung des EuGH:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=228674&pageIndex=0&doclang=EN&mode=req&dir=&occ=first&part=1

Schlussanträge des Generalanwalts:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=224593&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

Allgemeine Hinweise zum Kindesnachzug

Trotz Corona – Familiennachzug wieder möglich

Der Mitte März aufgrund von Corona ausgesetzte Familiennachzug ist seit dem 02.07.2020 wieder möglich. Das Bundesinnenministerium (BMI) hat mit Pressemitteilung vom 01.07.2020 über die schrittweise Aufhebung der gel-tenden Reisebeschränkungen aus Drittstaaten informiert. Danach gelten „erweiterte Einreisemöglichkeiten für Reisende aus allen Drittstaaten, die einen wichtigen Reisegrund haben“. Einreisen im Wege des Familiennachzugs werden explizit als wichtiger Reisegrund angeführt.

Von Angehörigen, die zu ihren Familien nachziehen möchten, verlangt das BMI im Zuge der „Neuvisierung“ jedoch die Vorlage von Unterlagen, die nicht älter als sechs Monate sind.

Dies geht aus Verfahrenshinweisen des BMI an die Ausländerbehörden vom 12.06.2020 hervor. Darüber hinaus setzt das BMI eine enge einmonatige Frist, um eine „Neuvisierung“ zu beantragen.

Die Frist beginnt mit der Veröffentlichung der Möglichkeit der Antragstellung auf „Neuvisierung“ auf der Website der zuständigen Auslandsvertretung.

Einige Auslandsvertretungen haben Hinweise und Fristen auf ihrer Website veröffentlicht; deutsche Auslandsvertretungen in der Türkei: bis zum31.07.2020, deutsche Botschaft in Beirut (auch für Syrerinnen): bis zum 03.08.2020, deutsche Auslandsvertretungen in Pakistan: vor dem 08.08.2020, deutsche Auslandsvertretungen in Neu-Delhi und Islamabad für afghanische Antragstellerinnen: vor dem 09.08.2020, deutsche Botschaft Khartum (Su-dan): bis zum 10.08.2020, deutsche Auslandsvertretungen in Indien: bis zum 13.08.2020, deutsche Bot-schaft in Amman (Jordanien): bis zum 19.08.2020.

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/07/aufhebung-einreisebeschraenkung.html

https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/behoerden/Erlasse_ab_2012/BMI_Laenderschreiben-zu-abgelaufenen-Visa-im-Ausland_20200612.pdf

Merkblatt: Neugeborene Kinder syrischer Staatsangehörigkeitin der Türkei –Einbindung in das Verfahren zur Familienzusammenführung

Häufig dauern die Verfahren der Familienzusammenführung lange.

Während dieser Zeit werden auch Kinder geboren. Diese sollten dann in das laufende Verfahren der Familienzusammenführung der Mutter einbezogen werden.

Geflüchtete aus Ländern eines bewaffneten Konflikts, die das Verfahren auf Familienzusammenführung zu einem Angehörigen in Deutschland nicht in ihrem Herkunftsland betreiben können, benötigen in dieser Situation auch für das Neugeborene Dokumente, damit das Kind ebenfalls ein Visum erhalten kann.

Das Merkblatt des Deutschen Roten Kreuzes gibt hierzu Hinweise.

Arbeitshilfe zum Familiennachzug – Corona

Der DRK-Suchdienst informiert über Familienzusammenführungen von und zu Flüchtlingen in Zeiten der Corona-Pandemie.

Die Orientierungshilfe möchte über die Auswirkungen der Pandemie auf die Beratung im Bereich der Familienzusammenführung informieren.

Derzeit gelten für 30 Tage – seit edem 17. März 2020 erhebliche Einreisebeschränkungen. Drittstaatsangehörige werden an der Grenze zurückgewiesen, es sei denn, sie könenen einen dringenden Einreisegründe vorweisen. Ein dringender Einreisegrund könnte ein unaufschiebarer Arztbesuch sein oder ein in Deutschland lebender Ehegatte.

https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/Corona/Orientierungshilfe_1_FZ_Fluechtlinge___19.03.2020.pdf

Familienasyl : Nachzug zum -nunmehr – vollährigen Kind

Mit Urteil vom 13.03.20 (14 A 2778/17.A) hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entschieden: Ein Anspruch auf Familienasyl besteht nicht, wenn ein als Flüchtling anerkanntes Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr minderjährig ist.

Es ging um die Eltern und die Schwester eines als Flüchtlings anerkannten Syrers, denen zwar subsidiärer Schutz zugesprochen, aber deren Klage auf Flüchtlingsanerkennung unter dem Gesichtspunkt des internationalen Schutzes für Familienangehörige abgelehnt wurde.

Die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei nicht gegeben , da der Sohn beziehungsweise Bruder zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung bereits volljährig war. Das Gesetz sehe zwei Ausnah-meregelungen vor, in denen bei der Frage der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen sei. Im vorliegenden Fall handele es sich jedoch nicht um einen solchen Ausnahmefall, sondern um ein „beredtes Schweigen“ der Gesetzgeberin, das eine Ausdehnung der Schutzvorschriften auf die Konstellation des Familienasyls nicht zulasse.

In seiner Entscheidung verneinte das Gericht zudem erneut die hinreichende Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung bei Syrerinnen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben; es gäbe keine tatsächlichen Indizien dafür, dass syrischen Wehrdienstentzieherinnen eine regimekritische Haltung unterstellt werde.

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2020/14_A_2778_17_A_Urteil_20200313.html